Die Nachfrage nach transparenten, sicheren und flexiblen BPMN-Engines wächst stetig, insbesondere dort, wo sensible Prozesse und hohe regulatorische Anforderungen zusammentreffen. Zwei moderne Open-Source-Lösungen, die sich in diesem Umfeld besonders hervorheben, sind Operaton und CIBseven. Beide setzen auf Community-Driven-Development und vollständige Unabhängigkeit von proprietären Lizenzmodellen. Doch wie unterscheiden sich die beiden Plattformen im Detail?
1. Grundlegendes und Herkunft
Operaton entstand als Fork von Camunda 7 und verfolgt das Ziel, eine vollständig unabhängige, community-getriebene und dauerhaft freie BPMN-Engine unter Apache 2.0 zu etablieren. Die Gründung einer eigenen Stiftung ist im Gange. Das Projekt legt grossen Wert auf Transparenz, offene Governance und die Einbindung möglichst vieler externer Beiträge. Die Entwicklung ist dezentral, wesentliche Architekturentscheidungen werden öffentlich diskutiert.
CIBseven wurde ebenfalls aus Camunda 7 heraus entwickelt und wird massgeblich von einem dedizierten Entwicklerteam bei CIB solutions betreut (über 20 Mitarbeitende, Stand 2025). Auch hier steht Open Source im Fokus, allerdings mit einer starken Ausrichtung auf Stabilität und produktionsreife Features. Unternehmen haben die Möglichkeit, kommerziellen Support und Service-Level-Agreements direkt von CIB solutions zu beziehen. Die Community ist insbesondere im deutschsprachigen Raum sehr aktiv und liefert regelmässig Feedback sowie Beiträge.
2. Technische Merkmale im Vergleich
Kriterium | Operaton | CIBseven |
---|---|---|
Lizenzierung | Apache 2.0, 100% Open Source, keine Open-Core-Modelle | Apache 2.0, 100% Open Source |
Governance | Community-gesteuert, Stiftung (e.V.) im Aufbau | Community-getrieben, mit CIB als Initiator und dediziertes Entwicklerteam |
Technologiebasis | Java 17, entfernt Altlasten (Spring 5, JavaEE, Wildfly) | Java 17, hohe Kompatibilität zu Camunda 7 |
Web-Apps | Neue, barrierefreie Web-Apps (Beta 2025) https://github.com/operaton/web-apps | Bewährte klassische Camunda 7 Web-Apps, ggf. eigene Oberflächen |
Migration | Halbautomatische Migration von Camunda 7, OpenRewrite | Migration möglich, Tools und Anleitung verfügbar |
Distribution | Kein Managed Service / SaaS, Eigenbetrieb in Cloud möglich | Docker, Cloud-fähig, klassische Distribution |
Transparenz | Vollständige Offenlegung aller Entwicklungen | Community- und Firmen-gepflegt, transparent |
3. Community, Transparenz und Weiterentwicklung
Operaton hebt sich besonders durch seinen klaren Community-Fokus ab:
- Alle Entscheidungen werden offen in Forum und Chat diskutiert.
- Die künftige Stiftung sorgt dafür, dass kein Unternehmen die Kontrolle übernehmen kann.
- Der Anspruch ist, alle Builds und Distributionen ohne versteckte Abhängigkeiten bereitstellen zu können.
CIBseven punktet mit einer aktiven deutschsprachigen Community, langfristiger Produktpflege durch ein erfahrenes Team und einer engen Verzahnung mit DMS- und Doku-Lösungen (z.B. CIB Flow), was für Unternehmen mit Dokumentenfokus interessant ist.
4. Cloud-Fähigkeit und Betriebsmodelle
Beide Plattformen lassen sich grundsätzlich als Container (z.B. Docker) betreiben und können sowohl on-premises als auch in der Cloud eingesetzt werden. Die Unterschiede zeigen sich jedoch in den Details:
- Operaton ist cloud-tauglich in dem Sinne, dass der Betrieb in eigenen Cloud-Umgebungen (z.B. AWS, Azure, GCP, Kubernetes, OpenShift) problemlos möglich ist. Die Plattform muss dabei jedoch vollständig in Eigenregie installiert, gewartet und betrieben werden. Es existieren derzeit keine eigenen Managed- oder SaaS-Angebote (“Operaton Cloud”) und keine spezifischen Integrationen für Public-Cloud-Services (etwa Monitoring, Storage, Identity). Integrationen sind generisch möglich, aber nicht als schlüsselfertige Adapter vorhanden.
- CIBseven ist heute bereits Docker- und Cloud-fähig und wird aktiv für entsprechende Umgebungen weiterentwickelt. Besonders für Unternehmen relevant: Eine SaaS- bzw. Managed-Service-Lösung ist für die nahe Zukunft angekündigt. Damit wird der Betriebsaufwand für Nutzer deutlich reduziert, und Support wie Skalierung können professionell übernommen werden.
Fazit Cloud-Fähigkeit:
Beide Plattformen können technisch in Cloud-Umgebungen laufen. CIBseven geht jedoch einen Schritt weiter in Richtung schlüsselfertiger, betreuter Lösungen. Operaton setzt aktuell komplett auf Eigenbetrieb und volle Kontrolle beim Anwender.
5. Sicherheit, Integration und Zukunftsfähigkeit
Beide Engines bieten:
- BPMN 2.0-konformes Workflow-Management
- Flexible Integration in bestehende Infrastrukturen (z.B. Authentifizierung via SAML, OAuth2, OpenID Connect, LDAP)
- Volle Kontrolle über Deployment und Security (Self-Hosting)
Operaton ist besonders attraktiv für Teams, die Wert auf einen modernen Technologie-Stack und hohe Innovationsgeschwindigkeit legen. Die Entfernung von Altlasten und der Community-First-Ansatz schaffen eine hohe Zukunftssicherheit und Flexibilität.
CIBseven steht für Stabilität und bewährte Integration, mit einem besonderen Fokus auf dokumentenzentrierte Anwendungen und Support durch ein etabliertes Team.
6. Migration, Innovation und Produktionsreife
Migration:
Operaton bietet halbautomatisierte Migrationstools und OpenRewrite-Skripte für den Umstieg von Camunda 7 an, legt aber parallel Wert auf die Entfernung von Altlasten (z.B. keine Abhängigkeiten mehr von JavaEE, Wildfly, alten Spring-Versionen). Das erhöht die Innovationsgeschwindigkeit, bedeutet aber auch, dass tiefgreifende Umbauten im Projekt notwendig sein können.
CIBseven verfolgt einen konservativeren Ansatz: Die Plattform bleibt möglichst kompatibel mit bestehenden Camunda 7-Projekten und erweitert diese gezielt. Migrationen laufen dadurch meist reibungslos ab und können mit Unterstützung des Herstellerteams umgesetzt werden.
Innovationsstrategie:
Operaton möchte sich bewusst vom alten Camunda-Stack lösen, setzt früh auf neue Technologien und legt Wert auf Barrierefreiheit (neue Web-Apps, moderne APIs, kontinuierliche technische Modernisierung).
CIBseven setzt auf Stabilität, Funktionsumfang (“Camunda 7 Plus”) und enge Anbindung an bestehende Unternehmensprozesse, etwa durch zusätzliche Features oder die Integration in Dokumentenmanagementlösungen.
Produktionsreife:
Beide Systeme sind Open-Source und können in Produktivumgebungen eingesetzt werden. Wer auf garantierte Stabilität, schnellen Bugfix-Support und eine etablierte Entwickler-Organisation Wert legt, ist mit CIBseven derzeit besser aufgestellt. Operaton ist insbesondere für Teams interessant, die Eigenbetrieb bevorzugen, gerne am Technologiestack mitgestalten und sich aktiv an der Community beteiligen möchten.
7. Vor- und Nachteile aus Praxissicht
Vorteil Operaton | Nachteil Operaton |
---|---|
Unabhängige Community-Foundation im Aufbau | Kein kommerzieller Support |
Moderner, entkoppelter Technologie-Stack | Kein Managed-Service/SaaS, Eigenbetrieb nötig |
Fokus auf Innovation und Barrierefreiheit | Geringere Stabilitätsgarantie als CIBseven |
Halbautomatisierte Migrationstools | Community noch im Aufbau |
Vorteil CIBseven | Nachteil CIBseven |
---|---|
Grosses Entwicklerteam und kommerzieller Support | Stärker auf alten Camunda-Stack ausgerichtet |
Bewährte, produktionsreife Prozesse | Weniger radikale Innovation im Stack |
Cloud- und Docker-fähig, SaaS in Vorbereitung | Community-Governance weniger unabhängig |
Zusätzliche Features für Unternehmen | Migration zu künftigen Forks ggf. komplexer |
6. Unsere Einschätzung & Empfehlung
Für Teams, die Innovationsgeschwindigkeit, Unabhängigkeit und Eigenverantwortung suchen, ist Operaton eine hochinteressante Plattform, die auf Zukunftsfähigkeit und technologische Modernisierung setzt. Die aktive Mitgestaltung an der Open-Source-Entwicklung steht im Mittelpunkt.
Für Organisationen, die auf höchste Produktionsreife, Stabilität, Cloud-Optionen und professionellen Support angewiesen sind, ist CIBseven aktuell die attraktivere Wahl. Das dedizierte Entwicklerteam, die Produktreife und die geplanten Managed-/SaaS-Optionen sorgen für Planungssicherheit.
Beide Plattformen bereichern die Open-Source-BPMN-Landschaft und bieten sinnvolle Alternativen zu proprietären Lösungen. Die Entscheidung hängt stark vom gewünschten Betriebsmodell, Innovationsanspruch und Supportbedarf ab. Wir empfehlen, die jeweiligen Stärken im eigenen Kontext zu bewerten und mit uns einen Proof-of-Concept zu planen.
Wir freuen uns auf den Austausch und Feedback aus der Community!
Bei weiterführenden Fragen zu technischen Details oder Migrationsszenarien empfiehlt sich ein Austausch mit uns.